Aufgeregt stehe ich im Spätsommer 2018 auf dem Bahnhofsvorplatz in Oberstdorf. Bis hierhin bin ich schon mal gut gekommen. Recht kurzfristig habe ich mich entschlossen, meinen Traum, die Alpen per Fuß zu überqueren, in die Tat umzusetzen. Glücklicherweise habe ich den letzten Platz in einer Wandergruppe ergattert.
Nun stehe ich da mit meinen Fragen: Wird die Kondition reichen? Wer geht da alles so mit? Mein Rucksack ist streng nach Packliste gepackt. Jedes T-Shirt, jeder Strumpf sorgfältig abgewogen und ordentlich in Plastiktüten mit Reißverschluss verpackt. So ordentlich und bewusst habe ich noch nie gepackt. Meist bin ich mit dem Auto unterwegs, da passt immer noch ein Kleidchen, ein Paar Schuhe oder auch mehrere und ’ne Hose in eine Tasche. In der Regel bin ich mit viel zu viel Gepäck unterwegs. Aber diesmal Minimalgepäck und trotzdem bin ich noch über den empfohlenen Höchstgewicht.
Naja, ich fange an mich selbst anzuschummeln… vielleicht wiege ich die Wasserflasche ohne Wasser und die Wanderstöcke sind ja auch meist nicht im Rucksack und die Regenjacke. Aber mit allem ist und bleibt es ca 1,5 kg über der Empfehlung. Auch die Ausrede „der Rucksack ist halt schwerer als vergleichbare andere, dafür bequemer“ macht die Sache bzw. den Rucksack nicht leichter.
Und so stehe ich auf dem Bahnhofsvorplatz und bevor die Wanderführerin mir Hallo sagt und sich vorstellt, nimmt sie mit routiniertem Handgrifft meinen Rucksack in die Hand und sagt recht emotionslos: der ist zu schwer, das Gewicht musst Du die ganze Woche tragen, auspacken. Und so stehe ich mitten auf dem Bahnhofsvorplatz und lasse meinen sorgfältig gepackten Rucksack von einer bis dahin wildfremden Frau auspacken und mich nach den Inhalten der Plastiktüten befragen.
Erste Frage: Wozu brauchst Du die Schuhe? Meine Antwort: Stand auf der Packliste: leichte Schuhe für die Hütte. Ihr Kommentar: brauchst du nicht … raus damit. Nächste Frage: was ist das? Antwort: Jogginghose und T-Shirt für nachts! Und ihr ahnt die Anweisung schon: raus damit. Das gleiche Spiel mit Wechselhose: raus damit, 2. Handtuch: raus … 3. T-Shirt: raus. Und so sind schnell 1,5 kg Gewicht aussortiert und bleiben bis zur Wiederkehr gut verwahrt zurück.
Und während ich überlege, ob ich nicht doch wieder etwas reinschmuggel und dafür den Schirm und die Wollmütze rausnehme – wozu braucht man bei diesem Jahrhundertsommer Handschuhe und Mütze – sehe ich, wie die anderen Mitwanderer versuchen, ihren Rucksack zu verstecken und ein unbeteiligtes Gesicht zu machen. Oh bloß nicht auffallen, nicht dass ich auch noch auspacken muss, so sehen sie aus.
Und schon geht die Wanderung los. Mit weniger Gewicht (immer noch schwer genug), aber umso mehr Fragen in meinem Kopf: „was mach ich denn, wenn meine Hose kaputt geht, was zieh ich bloß an die Füße und was ziehe ich nachts an? Werden meine Sachen reichen?“ geht’s im straffen Wanderschritt die ersten Höhenmeter hoch. Puh.
Um es vorweg zu nehmen: meine Sorgen haben sich erübrigt, ich hatte genug dabei! Mehr davon im nächsten Bericht.
Die erste Lektion der Wanderung über die Alpen habe ich also bereits auf dem Bahnhofsvorplatz gelernt: Man braucht weniger als mal denkt. Loslassen macht leichter. Man muss seinen Rucksack alleine tragen und sollte gut überlegen, was man tragen kann.
Diese erste Lektion begleitet mich seit dieser Zeit vermehrt. Was brauche ich? Was muss aussortiert werden? Sowohl im Materiellen als auch an Altlasten? Was heißt wesentlich werden?
In diesem Sinne freue ich mich auf angeregte Gespräche und Seminare in 2019 mit Euch.
Das Biografieseminar im April (4.4. 18:00 bis 6.4. 15:00) bietet sich an, den eigenen Rucksack mal auszupacken, anzuschauen, umzupacken, Ressourcen zu entdecken, und Pläne zu schmieden.
Weitere Informationen dazu findet Ihr auf der Homepage, mit neuen Terminen für die Führungskräftesupervisionsgruppe, und weitere Seminartermine folgen in den nächsten Tagen.